Thema: Was liest Du?
Bible Bad Ass: Mit Wut für eine moderne Kirche
(Edith Löhle. Leykam, 2024)
In Klara hat sich Wut angestaut. Überall begegnet ihr das Patriarchat: in den Straßen Berlins genauso wie bei der Arbeit und sogar in der eigenen Beziehung. All das bringt sie dazu, Entscheidungen zu treffen, die ihr Umfeld nicht nachvollziehen kann.
Doch sie ist nicht allein: über What’s-App schreiben ihr plötzlich Lilith, Maria oder Ruth, allesamt Frauen, die ihr Zuspruch geben und davon berichten, wie ihre Geschichten in der Bibel zu kurz kommen. Klingt verrückt, ist es auch, doch das soll so – es ist eben ein „popkulturelles Buch“.(1)
Im Interview auf der Leipziger Buchmesse erzählt Autorin Edith Löhle, wie sie selbst Wut auf die Kirche bekam. Als Kind mochte sie die Gemeinschaft der katholischen Kirche, deren Teil sie war, bis sie als Teenager „immer mehr Fragen“ stellte und sich schließlich enttäuscht von der Kirche abwandte, denn die „denkt viele Menschen nicht mit.“ Bei ihren Recherchen für den Roman machte sie dann erstaunliche Entdeckungen. Da stellte sie plötzlich fest, dass in der Originalsprache das Vaterunser oder der Heilige Geist nicht per se maskulin gezeichnet werden. „Wenn wir beten wollen, dann lasst uns doch auch mit einer inklusiven, fairen Sprache beten“, sagt sie jetzt, denn „das Original […]gibt es her.“ Sie hat Frieden mit dem Glauben gemacht.
Auch Klara darf letztlich wieder positiver denken. Dennoch enttäuschte es mich, wie offen am Ende bleibt, wie es mit Klara weitergeht. Weder Story noch Sprache konnten mich überzeugen: die biblischen Frauenfiguren reden geschwollen daher, und auch wenn Klara dies kommentiert, liest es sich dadurch nicht weniger wie ein Esotrip: Klara findet eine Art Erleuchtung, und alle außer einer queeren Pastorin halten sie für verrückt.
Doch solche Kämpferinnen innerhalb der Kirche gibt es, sagt Löhle und fügt hinzu: „Die Kirche […] muss sich bewegen, sonst werden die Ränge immer leerer.“
Die Message ist trotz der Schwächen angekommen. Das Buch passt in unsere Zeit, in der wir, so Löhle, „Dinge anschauen, die ganz lange unter den Teppich gekehrt wurden.“
Alles in allem also ein wichtiges Buch, und hübsch ist es auch, besonders mit Farbschnitt (leider nur in der 1. Auflage). Wer sich nicht daran stört, dass es sich hier um ein als Roman getarntes Sachbuch über das Potential biblischer wie auch lebensechter Frauenfiguren für eine moderne Kirche handelt, dem sei das leicht zu lesende Debüt wärmstens empfohlen. Das erwähnte Interview vielleicht noch ein bisschen mehr.
(1) Alle Zitate aus einem Interview bei der Leipziger Buchmesse 2024,
anzusehen unter https://www.3sat.de/kultur/buchmesse/edith-loehle-lesebuehne-leipzig-2024-100.html
anzusehen unter https://www.3sat.de/kultur/buchmesse/edith-loehle-lesebuehne-leipzig-2024-100.html
Britta Füllgrabe
Foto: Füllgrabe
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Eine Frage der Chemie
(Bonnie Garmus. Piper, 2022)
Der Roman „Eine Frage der Chemie“ (englisch „Lessons in chemistry“) von Bonnie Garmus stand von 2022 bis 2024 pausenlos auf den Bestsellerlisten und so könnten viele es bereits kennen. Dennoch habe ich mich entschieden, dieses Buch hier zu empfehlen, da ich es so großartig fand: witzig, klug, phantasievoll und ungemein vielschichtig und spannend.
Der Debutroman der US-amerikanischen Schriftstellerin Garmus spielt in den 50er und 60er Jahren in Kalifornien und erzählt in Rückblicken die Geschichte der begabten Chemikerin Elisabeth Zott, die versucht privat und beruflich ihren eigenen unangepassten Weg zu gehen. Elisabeth widersetzt sich an der Universität den übergrifgigen Annäherungsversuchen ihres Vorgesetzten mit Hilfe eines Bleistifts und als sie sich anschließend nicht dafür entschuldigen möchte, muss sie die Universität verlassen. Für den Vorgesetzen gibt es hingegen keinerlei Konsequenzen.
Sie beginnt, als Laborassistentin am Forschungsinstitut Hasting zu arbeiten und lernt dort den bekannten Chemiker und Eigenbrötler Calvin Evans kennen, der nur wegen des Ruderns in die südkalifornischen Kleinstadt Commons kam.
Gemeinsam arbeiten sie an einem Forschungsprojekt, nehmen einen streunenden Hund namens Halbsieben auf und Calvin kann Elisabeth auch für den Rudersport begeistern. Heiraten möchte Elisabeth nicht, da sie um ihre Unabhängigkeit fürchtet. Als Calvin bei einem tragischen Unglück ums Leben kommt und Elizabeth merkt, dass sie schwanger ist, wird sie entlassen und ihre gemeinsamen Forschungsergebnisse werden von ihrem Vorgesetzten gestohlen.
In dieser Zeit eine alleinerziehende Mutter zu sein ist weder für Elisabeth noch für ihre Tochter Madeline einfach, die in der Schule gemobbt wird. Elisabeth stärkt ihr mit Hilfe der Nachbarin den Rücken und gibt der Tochter leckeres Mittagessen in der Lunchbox mit aufmunternden auf Zetteln geschriebene Nachrichten auf den Weg. Madeline gibt die Köstlichkeiten allerdings an eine Mitschülerin weiter und so will es der Zufall, dass Elisabeth den Vater des Mädchens, einen Fernsehproduzenten kennenlernt, der sie prompt für eine Kochshow engagiert.
Wie sagt Elisabeth: „Kochen ist Chemie. Und Chemie ist Leben. Ihre Fähigkeit, alles zu ändern – Sie selbst eingeschlossen – beginnt hier.“
Sie tritt nicht im hübschen Kleid, wie von den Produzenten gewünscht, sondern im Laborkittel vor die Kamera und zeigt dem Publikum, welche chemischen Prozesse zum Kochen gehören und macht so durch ihr Charisma die Kochshow zu
einem landesweiten Erfolg. Bis zum Schluss, als auch das Geheimnis der Lebensgeschichte von Calvin noch gelöst wird, wobei auch die bigotte Gesellschaft und die katholische Kirche eine unrühmliche Rolle gespielt haben, bleibt das Buch
mitreißend und spannend. Die grandiose Figur der Elisabeth Zott füllt die 460 Seiten aus und man möchte nicht, dass die Geschichte endet. Inzwischen ist sie bereits verfilmt worden, aber ich kann jedem nur das Buch ans Herz legen.
Christine Wismer
Foto: Wismar
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Weitere Buchempfehlungen
Ich lese gerade "Nur der Wind kennt meinen Namen", das neuste Buch von Isabel Allende (Suhrkamp,2024). Das Buch fesselt mich, weil Isabel Allende das Thema Fluchterfahrung generationsübergreifend in Europa und Amerika zu einer emotionalen, aber nie rührseligen Geschichte verbindet.
Christine Wismer
Ein schönes kleines Geschenk für ebensolche ist „Freundinnen“, herausgegeben von Julia Gommel-Baharov (Fischer, 2024), im handlich-kleinen Format. Über die vielen
Facetten von Freundschaft, inklusive ihrer Abgründe und Tragödien, aber auch mit vielen Wahrheiten, wie etwa dieser: „…es ist ja das Gute an der Freundschaft, im Gegensatz zur Liebe zehrt sie nicht von der Romantik“ (von Rönne, S. 9).
Britta Füllgrabe
Mein Lieblingsbuch ist „Mittagsstunde“ von Dörte Hansen (Penguin, 2018). Eine Mischung aus liebevoll detaillierter Familiengeschichte und Gesellschaftsportrait aus Nordfriesland. Weil ich die Personen beim Lesen sehr genau vor Augen hatte, bin ich für den Film auch nicht ins Kino gegangen.
Daniela Grün
„Ein Deutscher in der Welt - Erinnerungen
1906 – 1981“ von Klaus Mehnert (DVA, 1981). Ich liebe Biografien und diese gibt höchst interessante Einblicke in die Geschichte von Staaten, die eine wachsende
Bedeutung für uns haben.
Ernst Kürsten